In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg flüchteten schätzungsweise 14 Millionen Menschen aus den deutschen Ostgebieten oder wurden vertrieben. Auf der Potsdamer Konferenz wurde im August 1945 zwar beschlossen, dass die Überführung der Deutschen human ablaufen solle, dies war aber gar nicht möglich, da zu viele Menschen in sehr kurzer Zeit die Ostgebiete verließen, sodass die vier Besatzungszonen völlig überfordert waren.
Die britische Besatzungszone verpflichtete sich täglich 6.200 Flüchtlinge aufzunehmen. Nicht nur mit Zügen und Schiffen wurden Flüchtlinge und Vertriebene transportiert, viele Millionen Menschen machten sich zu Fuß auf den Weg in den Westen. Mit hölzernen Handwagen versammelten sich Kinder, Frauen, Männer und Alte an Sammelstellen. Hierbei waren sie dem kalten Winter ausgesetzt, ohne genug Kleidung und Nahrungsmittel zu besitzen. Viele Menschen fielen diesen Strapazen zum Opfer und kamen auf dem Weg in ihre neue Heimat um. Insgesamt haben durch die Flucht und Vertreibung mindestens eine Million Menschen ihr Leben verloren.
Auf der Karte sind die Anteile der Flüchtlinge in den verschiedenen Gemeinden Ostfrieslands zu erkennen. Es fällt auf, dass die höchsten Anteile in größeren Städten liegen. Ein Grund dafür ist zum Beispiel, dass es hier bessere Möglichkeiten gab einen Beruf zu finden, da Ostfriesland zu dieser Zeit noch sehr bäuerlich geprägt war.

Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen
Die Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen lief nicht überall gleich ab. Viele berichten in ihren Schriften und auch heute noch, dass sie unerwünscht waren. Andere erinnern sich jedoch, dass sie herzlich und zuvorkommend aufgenommen wurden.
Aufnahme an Schulen und dem Gymnasium für Jungen
Von der Art der Aufnahme war auch meist die Lebenslaufbahn abhängig. So konnten Menschen, welche gute Startchancen hatten, höhere Schulen besuchen und somit einen besseren Beruf erlernen, in welchem man ein hohes Einkommen erzielen konnte. Zudem hatten die Jungen, welche die Bitte um Absolvierung der Reifeprüfung beantragten und aus einer Flüchtlingsfamilie kamen, oft keinen Vater mehr. Grund dafür war, dass dieser entweder noch in Kriegsgefangenschaft oder bereits im Krieg gefallen war. Am Gymnasium für Jungen zählte man viele Flüchtlinge aus den Ostgebieten, aber auch aus anderen Großstädten, da diese meist völlig zerstört waren.

Der Schulalltag
Nachdem die Menschen aus dem Osten geflohen waren, war ein normaler Schulalltag für sie undenkbar. Infolgedessen verpassten sie sehr viel Lernstoff und hatten damit große Wissenslücken, was ihnen vor allem vor dem Abitur große Schwierigkeiten bereitete, sodass sie viel nacharbeiten mussten. Jedoch hatten viele Flüchtlinge, welche auf das Gymnasium für Jungen gingen, teilweise den Vorteil, dass die Eltern sehr gut gebildet waren und zum Beispiel den Beruf des Lehrers ausübten. Dementsprechend konnten sie mit den Eltern das Unterrichtsmaterial nachholen und so mit den einheimischen Schülern gleichziehen.
Teilweise geht aus den Reifeprüfungen hervor, dass die Flüchtlingsschüler sogar zu den besten der Klasse gehörten. Dies lag einerseits daran, dass diese besseres Hochdeutsch sprechen konnten, während die Einheimischen meist Plattdeutsch zu Hause sprachen. In der Schule wurde aber auf Hochdeutsch kommuniziert. Ein weiterer ausschlaggebender Punkt waren die Intentionen sowohl der Flüchtlingsschüler als auch deren Eltern. Man versuchte alles möglich zu machen, um einen guten Abschluss zu erreichen. Teilweise wurden die kleinen Räume, in denen die Flüchtlinge lebten, komplett umgeräumt, damit die Kinder so gut wie nur möglich unter den gegebenen Umständen lernen konnten. Das angestrebte Ziel war es, einen guten Abschluss zu schaffen.
Eine gelungene Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen?
Wie bereits festgestellt, sind viele neue Schüler aus den Ostgebieten an die Schule gekommen. Damit war eine Aufteilung auf zwei Klassen notwendig, da sonst zu viele Lernende in einem Klassenraum unterrichtet werden mussten. Somit fand ab dem Jahr 1948 eine Aufteilung in die Klassen „a“ und „b“ statt, um die Schüler besser verteilen zu können. Hierbei umfasste die Klasse „a“ fast durchweg neue Schüler. Die Klasse „b“ bestand vor allem aus ehemaligen Marinehelfern sowie ebenfalls den Neuen aus den ehemaligen Ostgebieten oder anderen Städten Deutschlands. Eine weitere Trennung der Flüchtlinge und Einheimischen konnte man bei der mündlichen Abiturprüfung erkennen. So wurden 1948 zuerst die Flüchtlinge der 12a geprüft und am folgenden Tag die Einheimischen. Darauf folgten die Flüchtlinge aus der 12b am nächsten Tag und danach die Einheimischen noch einen Tag später.
Flüchtlingslehrer als Integrationshelfer?
Nicht nur neue Schüler wurden am Gymnasium für Jungen aufgenommen, es wurden auch neue Lehrer eingestellt, welche ebenfalls aus den ehemaligen Ostgebieten stammten. Dies hatte den Grund, dass manche Lehrer im Krieg eingezogen wurden und nicht wieder zurückkehrten. Die Hauptursache des Lehrermangels waren jedoch die weitreichenden Entnazifizierungsmaßnahmen der Besatzungsmächte, wodurch viele Lehrer ihren Beruf verloren. Um den Lehrermangel zu kompensieren, setzte man auf die Lehrer aus dem Osten, da diese bereits ausgebildet waren und somit keine neuen ausgebildet werden mussten. Da diese teilweise wie die Schüler flüchten mussten oder vertrieben wurden, konnten sie sich sehr gut in die Flüchtlingsschüler hineinversetzen und ihre Situation nachvollziehen. Insgesamt wurde den neuen Flüchtlingslehrern viel Respekt entgegengebracht. Man kann damit ebenfalls sagen, dass die geflüchteten Lehrer das Schulleben am Gymnasium für Jungen prägten und aufrechterhielten und damit den Fortbestand der Schule und der Bildung sicherten.