Im Kaiserreich war das UEG eine reine Jungenschule mit modernem Gebäude, eine Schule der Bessergestellten, zu dem nur die Söhne derer, die es sich leisten konnten, Zutritt hatten. Zwar gab es in Ausnahmefällen Befreiungen vom für viele unbezahlbaren Schulgeld. Doch diese waren stark limitiert und konnten jederzeit widerrufen werden, sodass sie das Ungleichgewicht zwischen Eignung und sozialer Herkunft kaum ausgleichen konnten.
Königliches Realgymnasium und Gymnasium. So hieß das UEG im Kaiserreich. »Königlich«, da das Königreich Preußen sein Träger war – was auch bei der Gestaltung der Fassade deutlich wurde: Vor allem an das frühere Königreich Preußen symbolisierenden Adlern mangelt es dem UEG bis heute nicht.
»Realgymnasium und Gymnasium«, weil es zwei konkurrierende Zweige der höheren Bildung unter einem Dach verband: Die »realistische« Bildung des Realgymnasiums rückte die Naturwissenschaften und neue Sprachen in den Vordergrund. Und die (neu-) humanistische Bildung des klassischen Gymnasiums legte besonders Wert auf die alten Sprachen Latein und Griechisch.
Die Doppelgestalt der Schule, die sich in Form des 1909 errichteten Schulgebäudes in der Ubbo-Emmius-Straße auch in architektonischer Hinsicht manifestierte, war einerseits Ausdruck der industriellen und ökonomischen Modernisierung, mit der ein wachsender Bedarf an naturwissenschaftlich gebildeten Fachkräften einherging. Andererseits zeigt sie, dass man nach wie vor an Traditionen festhielt. Sie offenbart uns, dass unsere Schule eine Schule der Gegensätze war.
Dieses Spannungsfeld war hier allgegenwärtig, Tradition und Moderne koexistierten und vermischten sich. Zwar gab es eine moderne Ausstattung – vor allem ein elektrifiziertes Chemielabor –, und die naturwissenschaftliche Sammlung birgt auch noch heute eine Vielzahl bemerkenswerter Exponate aus der Zeit der Jahrhundertwende, darunter das Modell einer Dampfmaschine.
Doch hinsichtlich der Mentalitäten von Lehrenden und Lernenden neigte das UEG der Kaiserzeit klar zum Traditionalismus, was sich in zeitgenössischen Lehrerkarikaturen spiegelt – und in der Rede eines Studienreferendars namens Adolf Grimme, der später ganz andere Töne anschlagen und den Neustart des deutschen Medienwesens nach dem zweiten Weltkrieg so sehr vorantreiben sollte, dass sein Name zum Signet für hochqualitative demokratische Medienbildung werden sollte. 1916 war davon noch nichts zu spüren.
So waren die Schule und ihre Lehrenden um eine christliche Erziehung bemüht, während andere Länder bereits auf religiöse Neutralität setzten, und um eine strenge Sittenkontrolle. Die Verankerung des Gymnasiums in Staat und Stadt und deren Normen zeigt sich auch auf der Fahne, die der Schule anlässlich der Einweihung des heutigen Altbaus von den Frauen der Stadt übereignet wurde.
Neben den alten und modernen Wissenschaften, neben sittlich-moralischer und christlicher Erziehung hatten Nationalismus und Militarismus im Schulalltag viel Raum. Diese Gegensätze durchzogen nicht nur unsere Schule. Das Kaiserreich selbst war ein Land voller Gegensätze. So scheint es, dass unsere Schule ein Spiegel ihrer Zeit gewesen ist.